Bombardierung am 7. Oktober 1943
Von Eugen Beuttler, der von 1926 bis 1939 Kommandant der Freiwilligen Feuerwehr Böblingen war und danach ihrem Stab angehörte, liegt folgender Bericht vor:
„Am 7.Oktober 1943 wurde um 23:20 Uhr Luftalarm gegeben. Ich begab mich, wie üblich, zur Befehlsstelle Schlosskeller. Der Stab des örtlichen Luftschutzes, der Feuerwehrstab, Sanitäter, Helfer und Melder waren zur Stelle. Auch Frauen und Kinder der Nachbarwohnungen hatten sich schutzsuchend eingefunden. Kurz nach 23:30 Uhr hörte man gewaltige Detonationen.
Eine Luftschutzhelferin kam in größter Aufregung mit dem Schrei in den Schlosskeller:
„Das Rathaus brennt!“ Hitlerjungen, die als Melder eingeteilt waren, wollten voller Eifer zur Hilfeleistung hinauseilen. Ich hielt sie zurück, denn die Luft rauschte, und Schlag auf Schlag donnerten die Bomben nieder, der Angriff war noch in vollem Gange. Ich stand oben an der schweren eisernen Kellertür und schaute durch eine kleine Öffnung. Die Kirche und der „Kasten“ brannten in nächster Nähe. Eine Frau, die neben mir stand, jammerte um ihre Betten und bat mich händeringend um Hilfe. Zweimal lief ich mit Betten und ein drittes Mal mit gepackten Koffern vom „Kasten“ zum Schlosskeller. Anschließend eilte ich den Schlossberg hinunter zum Postplatz. Das Dekanat, die Kreispflege und das Hotel Post standen in Flammen. Als ich am Postplatz war, rauschte es über mir. Ich warf mich neben eine Mauer flach zu Boden. Zwei Volltreffer sausten direkt in den „Böblinger Hof“ (ehem. „Zahnei“ genannt). Das ganze Gebäude stürzte zusammen wie ein Kartenhaus.
Ich sprang auf. Da sah ich Feuer aus dem Dachstock der „Dinkelakerei“ lodern. Ich war Pächter der dortigen Gastwirtschaft. Sofort lief ich ins Haus und begann im Dachstock zu löschen. Da ging das Wasser aus. Ich alarmierte eine Feuerwehrgruppe, die rasch eine Schlauchleitung nach oben legte. Als ich das Zeichen für Wasser gab, kam keines. Die Hauptleitung war irgendwo unterbrochen. Ich rannte in das Erd-und Kellergeschoss. Dort gab es noch Wasser. In großen Milchkannen wurde es von Frauen und Männern nach oben getragen. Es konnte so durch das rasche Eingreifen die Dinkelakerei gerettet werden.
Als ich mich wieder dem Schlossberg zuwandte, sah ich dass der Dachstuhl des Schlosses brannte. Die Befehlsstelle war schon in das Gemeindehaus verlegt. Die Böblinger Feuerwehr und die Daimler Wehr waren eingesetzt. Nachbarwehren eilten zur Löschhilfe herbei. Von Nagold und Calw, ja sogar von Ulm trafen Löschzüge ein. Ortskundige Helfer und Melder brachten die Feuerwehren an die Wasserentnahmestellen des Oberen und Unteren Sees und die zugewiesenen Brandplätze. Die Schlauchleitungen mussten auf Umwegen durch feurige Gassen und Gäßchen zu den Brandstellen gelegt werden.
Vielfach musste man wegen der großen Entfernung staffeln, das heißt eine Motorspritze dazwischen schalten. Am Plattenbühl war vor Glut und Hitze nicht durchzukommen. Dort schlug aus dem Haus Zweygart, dem Bürohaus von Dr. Hengstberger, dem „Schwanen“, dem Haus Dannwolf, der Weinstube Balz, dem Gebäudekomplex Dengler, Stierle und Wilhelm die rote Feuerlohe zum Himmel. Die Marktstraße und Pfarrgasse waren bis zum Schloss hinauf ein zusammenhängendes Feuermeer, in dem ein ungeheurer Feuersturm tobte. Es brannte das Rathaus und die ganze südliche Front des Marktplatzes sowie die untere Vorstadt.
Das Stadtzentrum glich einer lodernden Riesenfackel. Wie versprengte Einzelfeuer dieser Riesenhölle wirkten die Brände in der Tübinger Straße, in der Brunnen-, Schönaicher, Spielberg-, Kalkofen-und Teckstraße, sowie am Herdweg, in der Krumme Landen und Tannenberg-Siedlung. Selbst draußen vor der Stadt fiel das Waldburgwirtschaftshaus, das Haus Hubertus beim Murkenbachhof und das Gasthaus Bierkeller an der Straße nach Holzgerlingen den Bomben zum Opfer. Sprengbomben und Luftminen hatten die Stadt durcheinander geschüttelt, als habe sich ein Erdbeben ereignet. Stabbrandbomben und Phosphorbomben fielen als riesige Zündhölzer in dieses Chaos. Eine friedliche Stadt war zur entsetzlichen Fackel und zu einem düsteren Trümmerhaufen geworben. Vereinzelt gelang es beherzten Männern und Frauen, einen im entstehen begriffenen Brand zu löschen und so ein Gebäude zu retten. Aber gegen die Allgewalt des entfesselten Elements waren auch die Feuerwehren machtlos, zumal die Wasserleitungen nicht mehr intakt waren. Insgesamt versuchten 21 Wehren mit 43 Löschfahrzeugen in einem Einsatz von 3.582 Arbeitsstunden gegen Feuer und Zerstörung anzukämpfen. Aber Bombenblindgänger, Bomben mit Verzögerungszünder, und blockierte Straßen, erschwerten die Löscharbeit. Manchen Gebäuden konnte unmöglich Hilfe gebracht werden. In die Außenbezirke der Stadt kam keine Feuerwehrmannschaft. Sofort nach dem Abflug der Feindbomber rückten Kompanien der Ersatzabteilungen des Böblinger Panzerregiments zur Hilfeleistung herbei. Sie gingen daran, Straßen und verschüttete Keller freizumachen, sie bargen Verwundete und Tote. In den Morgenstunden brachten Feldküchen des Panzerregiments eine Mahlzeit, bestehend aus Tee, Brot, Käse und Marmelade. Wie sah die Stadt aus, als der Morgen des 8. Oktobers graute?
Noch loderten überall Brände, Ganze Bezirke lagen in Trümmer. Was nicht völlig zerstört war, bot einen trostlosen Anblick: Dachgerippe ohne Ziegel, schiefe Häuser, heraus gebrochene Wände, weggerissene Türen, eingestürzte Schornsteine, herabhängende Zimmerdecken, leere Fensterhöhlen, zerstreuter Hausrat und zwischen all dem Durcheinander verstörte, kummervolle, übernächtigte Menschen. 1.735 Personen waren obdachlos geworden. 230 Personen wurden verwundet. 44 Personen fanden den Tod, nämlich 20 Männer, 12 Frauen und 12 Kinder. Die Toten wurden in einer ergreifenden Trauerfeier am Mittwoch, dem 13.Oktober 1943 auf einem Ehrenfeld des Böblinger Friedhofs beigesetzt“.